Diploide Organismen haben zwei Allele jedes Gens in ihren somatischen Zellen. Dabei stammt jeweils eins von jedem Elternteil. Daher trägt jedes Individuum zwei Allele zum Genpool der Population bei. Der Genpool einer Population ist die Summe jedes Allels aller Gene innerhalb dieser Population und weist einen gewissen Grad an Variation auf. Genetische Variation wird typischerweise als relative Häufigkeit ausgedrückt, welche den Prozentsatz der Gesamtpopulation angibt, der ein bestimmtes Allel, Genotyp oder Phänotyp aufweist.
Im frühen 20.th Jahrhundert stellten sich Wissenschaftler die Frage, warum die Häufigkeit von einigen selten vorkommenden dominanten Eigenschaften in zufällig paarenden Populationen nicht mit jeder Generation zunahm. Warum zum Beispiel wird das dominante Polydaktylie-Merkmal (E, zusätzliche Finger und/oder Zehen) bei vielen Tierarten nicht häufiger beobachtet als die normale Fingerzahl (e)? 1908 wurde dieses Phänomen der unveränderten genetischen Variation über Generationen hinweg unabhängig voneinander durch den deutschen Arzt Wilhelm Weinberg und dem britischen Mathematiker G. H. Hardy nachgewiesen. Das Prinzip wurde später als Hardy-Weinberg-Gleichgewicht bekannt.
Die Hardy-Weinberg-Gleichung (p2 + 2pq + q2 = 1) setzt Häufigkeiten der Allele elegant mit den Häufigkeiten der Genotypen in Beziehung. Zum Beispiel enthält der Genpool in einer Population mit Polydaktylie-Fällen E und e Allele mit relativen Häufigkeiten von p und q. Da die relative Häufigkeit eines Allels einen Anteil an der Gesamtpopulation darstellt, ergeben p und q die Summe 1 (p + q = 1).
Der Genotyp der Individuen in dieser Population ist entwederEE, Ee oder ee. Daher ist der Anteil der Individuen mit dem EE-Genotyp mal p p, oderp2, und der Anteil der Individuen mit dem ee Genotyp ist q × q oder q2. Der Anteil der Heterozygoten (Ee) beträgt 2pq (p × q und q × p), da es zwei mögliche Kreuzungen gibt, die den heterozygoten Genotyp produzieren (d.h. das dominante Allel kann von beiden Elternteilen stammen). Ähnlich wie die Allelhäufigkeiten (Allelfrequenzen) ergeben die Genotyphäufigkeiten auch 1. Daher ist p2 + 2pq + q2=1, was als Hardy-Weinberg-Gleichung bekannt ist.
Das Hardy-Weinberg-Gleichgewicht besagt, dass unter bestimmten Bedingungen Allelhäufigkeiten in einer Population über die Zeit konstant bleiben. Solche Populationen erfüllen fünf Bedingungen: eine unendliche Populationsgröße, zufällige Paarung der Individuen und das Fehlen genetischer Mutationen sowie die natürliche Selektion eines Genflusses. Da die Evolution einfach als die Veränderung der Allelhäufigkeiten in einem Genpool definiert werden kann, entwickelt sich eine Population, die den Hardy-Weinberg-Kriterien entspricht, nicht weiter. Die meisten natürlichen Populationen verstoßen gegen mindestens eine dieser Annahmen und befinden sich daher selten im Gleichgewicht. Dennoch ist das Hardy-Weinberg-Gleichgewicht ein nützlicher Ausgangspunkt oder ein Nullmodell für die Untersuchung der Evolution und kann auch auf populationsgenetische Studien angewandt werden, um genetische Zusammenhänge zu bestimmen und Fehler in der Genotypisierung zu erkennen.